Zugegeben, „Wir sind alle tot“ ist kein wirklich „schöner“ Buchtitel, wenn auch einer, der zur apokalyptischen Corona-Zeit unserer Tage zu passen scheint.
Aber nicht ich, sondern das Leben hat die drei spannenden Geschichten dieses „belletristischen Sachbuches“ geschrieben. Ich fungiere hier nur als Notar. Und in dieser Funktion habe ich keine andere Wahl, als das zu Papier zu bringen, was mir in die Feder diktiert wird.
Jede Geschichte braucht ein Vehikel, das ihren Plot, ihre Handlung vorantreibt. Hier ist es ein Flugzeug, das die drei Erzählstränge miteinander verbindet oder mehr noch, für deren Auswahl verantwortlich zeichnet. Nicht irgendeine x-beliebige Maschine, sondern die legendäre Douglas DC-3 A, auch unter Bei- und Spitznamen wie „Skytrain“, „Dakota“ oder „Rosinenbomber“ bekannt.
Eine Hommage von vielen also, die der berühmten Maschine mit den charakteristisch breiten Schwingen, der hochgereckten Nase und den dicken Ballonpuschen seit ihrer Geburt Mitte der dreißiger Jahre zuteilwurde?
Nicht wirklich. Natürlich befassen sich Teile des Buches mit Geburt und Werdegang der DC-3. Das sind wir ihr allemal schuldig. Und um eine Propellermaschine wie diese vom Boden abheben zu lassen, bedurfte es nun mal ein Geringes mehr an Technik als, sagen wir, bei Aladins fliegendem Teppich.
Doch bin ich weder Flugzeugingenieur noch Aeronautiker. Was mich als Schriftsteller vorrangig interessiert, sind Menschen in allen Facetten, von denen wir mindestens so viele besitzen wie die „Dakota“ Nieten.
In allen drei Geschichten gescheitert ist ja nicht die heimliche Protagonistin DC-3 als komplexes und übrigens durchaus auch anfälliges mechanisches und aerodynamisches Meisterwerk, sondern die sie steuernden, missbrauchenden oder verkennenden Menschen. Um sie und ihre Schwächen und Verfehlungen, denen ich mit Respekt und Zurückhaltung im Urteil zu begegnen versuche, geht es letzten Endes.
Wem dies als Rechtfertigung nicht reicht, mag sich ins Gedächtnis rufen, dass seit der Antike die schönsten Geschichten vom Fliegen dem Absturz gewidmet sind: seien es die tragischen Ikaros und Helle oder nur der profane fliegende Frosch Wilhelm Buschs - sie alle eignen sich nun mal so ausnehmend gut als Metaphern der Hybris, die laut Volksmund vor dem Fall zu kommen pflegt.
Sich in einem nicht einmal sonderlich umfangreichen Bändchen wie diesem dreimal auf völlig unterschiedliche zeitliche, geographische und technische Gegebenheiten einstellen und dabei ganz nebenbei noch das kleine Einmaleins der Aeronautik verarbeiten zu müssen, war für einen nicht unbedingt Technik-affinen Autor wie mich kein regelrechtes Zuckerschlecken.
Warum sich also überhaupt erst einer solchen Mühe unterziehen? Zum einen, weil die Geschichten einfach zu gut sind, um links liegen gelassen zu werden. Zum zweiten, weil Autoren, würden sie nur über das schreiben, was sie in- und auswendig kennen, sehr bald mit ihrem Latein am Ende wären. Das heißt, man steht in diesem Beruf vor der Wahl. Entweder, man kreiert seine ganz eigene Welt, in der man den Herrn der Ringe gibt. Oder man fühlt sich weiterhin der Realität verpflichtet und nimmt es auf sich, auch fremde Materien, so unhandlich sie erscheinen mögen, zu erkunden, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich habe mich schon deshalb für die letztere Option entschieden, weil das Leben immer wieder Geschichten schreibt, die niemand von und erfinden kann. Und noch etwas kommt hinzu.
Als Aischylos, der antike Athener Tragöde, der selbst an der Schlacht von Salamis teilgenommen hatte, seine Erlebnisse zu Papier zu bringen begann, geriet ihm das vielleicht geplante hellenische Heldenepos zur Tragödie über die persischen Verlierer. Wieso? Weil er als Tragöde gar nicht anders konnte? Möglich. Doch wohl auch, weil ihn die Erfahrung gelehrt hatte, dass sich aus einer Niederlage und der Art und Weise, mit ihr umzugehen, mehr lernen lässt als aus einem uns vielleicht mehr oder minder zufällig in den Schoß gefallenen Sieg. Und schließlich kennen wir nicht nur die Angst vorm, sondern auch die Lust am Scheitern.
In „Wir sind alle tot“ ruft ein Pilot, der seine DC-3, „kontrolliert“, wie es heißt, ins Gelände des Odenwaldes flog, quasi aus dem Jenseits nach Rehabilitation, indem er anklagend auf das mitwirkende Verschulden einer Gruppe von Filmemachern verweist, die nach Kräften zum Absturz der Maschine beitrugen.
Der “Minutenmann“ von Québec, Kanada, wähnte in grenzenloser narzisstischer Selbstüberschätzung das Schicksal an seiner Seite, als er den teuflischen Plan fasste, mit Hilfe einer DC-3 seine Ehefrau zu ermorden und ihren Tod in demjenigen der anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder buchstäblich zu „ertränken“. Doch muss auch er bald erkennen, dass das unnahbare Scheusal mit uns kümmerlichen Sterblichen keine Deals eingeht.
Das „Tal der Schatten“ auf dem Grund der Biscaya, Friedhof unzähliger Bomber, Jagdflugzeuge, Schiffe und U-Boote, wurde 1943 auch zur letzten Ruhestätte einer DC-3 namens „Ibis“ der KLM, die in britischen Diensten die hochbrisante Route Bristol – Lissabon bediente. Versehen oder Vorsatz lautet seitdem die Frage, die sich an den Abschuss von Flug 777 durch acht deutsche JU 88 C-6 „Zerstörer“ knüpft.
Ich wünsche allen weiterhin gute Gesundheit und angenehme Lektüre.
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