Betty unterhält sich mit Paul Werner über das fünfte, sich noch in Arbeit befindliche Laura Förster Buch

Hallo, Moin.

Hier ist die Betty mit ein paar Notizen zum gerade in Arbeit befindlichen neuen Laura-Förster-Roman, Titel Yorrick’s List.

„Also wieder ein Romantitel mit Y…?“

„In der Tat, man muss sich treu bleiben, dann tun’s die Leser irgendwann auch.“

„Soweit ich an Ihrem Recherche-Material erkennen konnte, scheint es als Hintergrund um die Vernichtung der spanischen Armada im Ärmelkanal 1588 zu gehen?“

„Das ist richtig. Sie bildet den Ausgangspunkt und Hintergrund.“

„Und wer ist Yorrick? Ich meine, ich weiß, der Hofnarr in Shakespeares Hamlet. Aber was hat der mit der Armada zu tun?“

„Es handelt sich zwar um einen ganz anderen Yorrick, aber diese Shakespeare-Konnotation ist durchaus gewollt, ja. Narren traut man keinen solchen Coup zu, wie den, um den es hier geht. Mehr wird nicht verraten.“

„Diese vernichtende Niederlage der Spanier damals, woran hat’s eigentlich wirklich gelegen?“

„Interessante Frage, Betty. Da kursieren bis heute viele Mythen wie Schwerfälligkeit der spanischen Galeonen, mangelnde Vertrautheit mit den natürlichen Gegebenheiten des Ärmelkanals, schlechte Seemannschaft und so weiter. Erinnern wir uns: Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben, so auch diese. Und alle lieben die Mär vom Underdog, der die zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes durch Tollkühnheit und Schläue wettzumachen weiß. Das ist sozusagen erzählerisches Urgestein.“

„Aber war es nicht auch so…?“

„Um dieses Ereignis würdigen zu können, muss man weiter ausholen, einige Grundzüge der damaligen Seekriegsführung Revue passieren lassen…“

„Teechen gefällig?“

„Lieber einen Mokka, wenn’s recht ist.“

„Kommt sofort.“

Zwei Mokkas später.

„Wo war ich?“

„Bei der Seekriegsführung.“

„Richtig. Sehen Sie, es beginnt ja bereits damit, dass viele kriegerische Ereignisse, die im Nachhinein unter dem Stichwort Seeschlachten rubriziert wurden, in Wirklichkeit gar keine solchen waren. Das zieht sich wie ein roter Faden von Salamis, wo die persischen Trieren eher als Truppentransporter unterwegs waren, bis nach Midway, wo die Schiffe eher Zuschauer der Luftgefechte waren, die sich über ihnen abspielten. Aber natürlich gab es auch ‚echte‘ Seeschlachten wie die von Trafalgar oder die im Skagerrak.“

„Und die Armada?“

„Bildet insofern eine Art Mittelding, als die spanischen Galeonen eigentlich vor allem Landungstruppen an der südenglischen Kanalküste absetzen sollten. Dass die Briten jedoch unter allen Umständen zu verhindern trachten würden, dass auch nur ein Spanier seinen Fuß auf die Insel setzt, muss den Hombres klar gewesen sein.“

„Das heißt, sie waren auch für eine wirkliche Seeschlacht gerüstet?“

„Ohne Zweifel. Die Galeonen trugen schwere Artillerie und waren keineswegs so schwerfällig, wie oft im Nachhinein dargestellt. Wie gesagt, man muss auf die Grundzüge zu sprechen kommen. Gibt’s noch einen Schluck von dem….? Danke.“

Er trank und verzog das Gesicht.

„Fast schon kalt. Na ja, egal. Beim Einsatz von Rahseglern in einer Seeschlacht sind stets eine ganze Reihe komplexer Daten zu berücksichtigen, die grob gesagt Seemannschaft und Taktik betreffen. Wissen Sie, ich habe mich in meiner Jugend oft gefragt, wieso ein kleiner unscheinbarer Mann wie Horatio Nelson zu einem solchen Seehelden werden konnte. Ein zartgliedriges Männlein, das im Kampf Mann gegen Mann an Deck seiner vom Feind geenterten Victory nicht die geringste Chance gehabt hätte. Des Rätsels Lösung: das Gehirn des Mannes funktionierte wie ein auf die Bedürfnisse einer Seeschlacht programmierte Computer-Software: Wetter, Strömungsverhältnisse, Seegang, Position des Feindes, maximale Schussfrequenz und Tragweite, das alles und mehr hatte der im Nu verarbeitet und in seine Taktik einfließen lassen. Ich glaube nicht, dass es jemals einen besseren Admiral gegeben hat oder geben wird. Der Mann war kein grobschlächtiger Raufbold, sondern eine menschliche Rechenmaschine.“

„Um was zu kalkulieren?“

„Na alles. Nehmen wir an, ein rahsegelgetakeltes Kriegsschiff ist drauf und dran, eine in etwa vergleichbare feindliche Einheit zu stellen. Wie vorgehen? Gute Seemannschaft verlangt, dass er in Luv des Feindes bleibt, um jederzeit abfallen und Geschwindigkeit aufnehmen oder dem Feind gar buchstäblich den Wind aus den Segeln nehmen zu können. So fährt man auch heute noch auf Regatten. Aber hier ist noch die Kleinigkeit des Gefechts zu berücksichtigen.

Bleibt er in Luv, riskiert er, im entscheidenden Moment der Passage Seite an Seite durch eine heftige Bö nach Lee gekrängt zu werden und mit seinen jetzt nach unten zeigenden Kanonen allenfalls Wale treffen zu können. Während sein aufrecht in Lee dümpelnder Gegner in aller Ruhe eine tödliche Breitseite nach der anderen abfeuern kann.“

„Pech gehabt…“

„Was ich meine, ist - bei der Seekriegsführung mit Segelschiffen waren Seemannschaft und jederzeit zu gewährleistende Feuerbereitschaft gegeneinander abzuwägen. Das erfordert eine Menge Erfahrung. Und ein bisschen Glück. Meteorologische Vorausschau war essentiell. Ist sie auch heute noch. Nur hat man heute eben viel bessere Mittel, sich diese Informationen zu verschaffen. Wenn ich bei Sidney – Hobart aufkreuzen muss und weiß, dass sich der Wind am Nachmittag drehen wird, halte ich meine Schläge kurz. Im gegenteiligen Fall mache ich lange Schläge, nutze den ganzen freien verfügbaren Seeraum.“

„Schläge?“

„So nennt man das Über-Stag-Gehen eines Bootes oder Schiffes, das Zick-zack-förmige Segeln gegen die vorherrschende Windrichtung. Etwas, das die Rahsegler nicht konnten.“

„Wieso?“

„Weil man mit Rahsegeln nicht durch den Wind kam. Man wäre bestenfalls genau im Wind liegengeblieben und der Winddruck auf die nun back stehenden Segel hätte die Masten abrasiert.“

„Das heißt, man konnte nicht…umdrehen?“

„Auf den anderen Bug gehen, meinen Sie. Doch, aber nur im Wege einer Halse. Das heißt, man fiel vom Wind ab, drehte eine Hundekurve um seinen eigenen Schwanz und kam auf dem anderen Bug wieder auf. Dabei half das Lateinersegel am dritten, dem sogenannten Besanmast. Das lieferte so gut wie keinen Vortrieb, sondern sorgte allein dafür, dass die Schiffe mit ihren, bitte um Vergebung, dicken Hintern durch den Wind kamen. Nachteil: das Manöver war recht aufwändig, riskant und kostete Zeit. Ohne jede Menge freien Seeraums nach Lee gar nicht zu machen. In etwa lässt sich das mit der Handhabung von heutigen Katamaranen vergleichen. Die kommen, da so gut wie ohne Kiel, auch nicht durch den Wind. Fällt die Starkbrise also aus der falschen Richtung ein, müssen Katamarane oft einen Riesenumweg fahren, um den Wind immer auf ihrer Schokoladenseite zu haben, was ihren prinzipiellen Vorteil der höheren Geschwindigkeit oft wieder neutralisiert. Was glauben Sie, weshalb Greta Garbo auf dem Kat in West-Ost-Richtung um so vieles länger auf dem Atlantik unterwegs war als auf dem Hinweg von Ost nach West? Auf einem Verdränger, also einem Kielboot, wäre sie vermutlich viel schneller gewesen. Aber Bettler können sich’s eben nicht aussuchen, wie die Engländer sagen.“

„Greta Garbo?“

„So nenne ich die Kleine mit dem Silberblick. Tunberg klingt für mich so nach Ölsardinen in Tomatensauce.“

„Womit wir wieder bei der Armada wären….“

Er lachte.

„Hübscher Versuch, Betty. Wenigstens verstehen Sie jetzt wohl, weshalb die Armada sich im Ärmelkanal bei Ausbruch eines jener Sommerstürme, wie er 1973 auch die Flotte des Admiral’s Cups auf dem Wege vom oder zum Fastnet überraschte, in die Bredouille geriet. Seeschlachten im eigentlichen Sinne brauchen viel mehr Platz, als der Kanal zu bieten hat. Hinzu kommt, dass der Ärmelkanal zu den unangenehmsten Gewässern gehört, die ich kenne: irrsinnige, schwer berechenbare Tidenströme, plötzlich auftretende Nebelbänke, Seegang vom Feinsten, kurzum, der Ärmelkanal ist der maritime Kotzbrocken schlechthin. Wären die Briten nicht so unglaublich borniert, hätte man ihn längst zuschütten und durch ein paar Autobahntrassen ersetzen können, großzügige Rastplätze mit Duty-free inklusive.“

„Um Gottes Willen, wenn Boris das hört…“

„Ich weiß. Allein das Tunnelprojekt hat ja schon Jahrhunderte bis zur Verwirklichung gebraucht.“

Soweit der kleine Preview. Auf meine Frage, wann denn mit Yorricks List zu rechnen sein würde, antwortete der Chef ausweichend. Mein Eindruck: nicht vor den Sommerferien. Also haltet vorerst nicht den Atem an. Bis bald mal wieder, eure Betty.