Bisher erschienene englische Versionen:
Übersetzungen und anderes.
Hallo da draußen. Hier ist wieder eure Betty Marlow, diesmal mit einem Interview zu den Übersetzungen der Bücher Paul Werners ins Englische. Ich habe selbst das eine oder andere Dokument für Freunde und Bekannte übersetzt und stelle mir die Arbeit an einem Buch von über 300 Seiten doch ziemlich ätzend vor, auch, wenn es das eigene Werk ist. Mich interessierte dabei vor allem die „Werktreue“ des Autors gegenüber seinen eigenen Büchern.
„Oder gibt es auch Werke, die Sie zuerst auf Englisch verfasst und dann ins Deutsche übersetzt haben?“
„Nein. Obwohl es mich bisweilen gejuckt hat. Stark umgangssprachliche Teile fallen mir auf Englisch leichter. Wohl, weil wir im Deutschen keine Entsprechung zum englischen oder amerikanischen Slang haben. Da gleitet man dann sehr schnell mal ins Dummdeutsche ab.“
„Dummdeutsch?“
„Unüberlegte, reflexhafte Sprechweisen, nachgeplapperter Unsinn, quer durch alle Generationen und Sparten. Wie zum Beispiel das unselige ‚genau‘ ursprünglich als Bestätigung dessen, was das Gegenüber gerade geäußert hat, längst aber auch als sprachliches Selfie, sprich die Quittierung des eigenen Echos. Oder das offenbar aus dem Niederländischen entlehnte ständige nervende ‚ja‘ mit ähnlich quittierender Funktion. Die von den Franzosen heiß geliebte, im Deutschen hingegen völlig zu Recht verpönte doppelte Verneinung im Stile von ‚nicht unspannend‘. Vor allem von Politikern und Journalisten gern benutzt, um subtile Differenzierung zu suggerieren. Tatsächlich einfach nur dämlich: ‚der nicht unkorpulente Junge trat gegen den nicht unrunden Ball‘ würde ja nicht einmal ein Franzose sagen. Obwohl gerade Sportreporter ein Zeugs daherreden, das einem die Zähne abstumpft. Einfach mal die Klappe halten wäre da die klügere Devise. Dazu gesellt sich notorisch Falscher Gebrauch vor allem englischer Schein-Wendungen wie Kloppo geht all in. Das tut vielleicht der deutsche ‚all inclusive‘ Tourist an der Bar des Hotels in Antalya. Sportliche Engländer machen, wenn schon, einen ‚all- out effort‘. Und so weiter. Die Medien sind auch in dieser Hinsicht privilegierte Instrumente der Volksverdummung. Was allein die meist orientierungslos und unmotiviert vor irgendwelchen brennenden Gebäuden oder mitten auf einer stark befahrenen Kreuzung von Kairo oder Delhi herumlungernden Auslandskorrespondenten, die in der Regel vor Ort noch weniger erfahren als ihre Kollegen im Berliner Studio mit Rutschbahn-Tischen, regelmäßig der deutschen Syntax antun, sollte mit Prügelstrafe belegt werden.“
„Verstehe. Aber zurück zum Thema. Ist es nicht wesentlich leichter, seine eigenen Werke zu übersetzen?“
„Kann ich nicht beantworten, weil ich nie Bücher anderer Autoren übersetzt beziehungsweise übertragen habe. Ich war lange Jahre Dolmetscher von Beruf, nicht Übersetzer.“
„Das ist aber doch fast dasselbe…“
Er schüttelte unwillig mit dem Kopf.
„Absolut nicht. Einfache Merkregel: Dolmetscher haben es immer nur mit der gesprochenen Sprache zu tun, Übersetzer mit dem Schrifttum. Das sind zwei völlig verschiedene Tätigkeiten, die entsprechend unterschiedliche Menschentypen voraussetzen.“
„Inwiefern?“
„Sagen wir so: Dolmetscher arbeiten mit hoch gespanntem Wechselstrom, müssen jetzt und hier wie Leistungssportler funktionieren, eine Sprache hören, in einer anderen sprechen, zumeist sogar sehr schnell sprechen und bisweilen parallel ein handschriftliches, in einer dritten Sprache abgefasstes Redekonzept überfliegen. Das setzt ausgeprägtes Analysevermögen, nachtwandlerische Redegewandtheit, gute Nerven und ausgeprägte Leidensfähigkeit voraus.“
„Leidensfähigkeit?“
„Und ob. Politiker oder hohe Beamte machen häufig Dolmetscher für angebliche Missverständnisse verantwortlich, die sie, wenn schon, in Wahrheit durch ihre bewusst geschwurbelte Ausdrucksweise selbst verursacht haben. Solche Anwürfe muss man als Dolmetscher lächelnd wegstecken können, sonst verbrennt man schnell in dem Beruf. Denn eines gilt auch hier gnadenlos: der Kunde hat immer Recht.“
„Und Übersetzer?“
„Funktionieren mit niedrig gespanntem Gleichstrom. Sitzen vor einem komplizierten Text wie vor der Bauanleitung von IKEA, stecken sich ein Pfeifchen an, gießen sich ein Käffchen nach dem anderen ein und suchen mal einen ganzen Vormittag lang nach dem einzig passenden Ausdruck, dem mot juste, wie die Franzosen sagen. Gut, ich übertreibe hier natürlich ein wenig, aber im Prinzip ist das so. Als Dolmetscher drückst du irgendwann auf den Aus-Knopf am Mikro und das war’s. Vielleicht fällt dir, auf dem Heimweg im Stau stehend, noch die eine oder andere Wendung ein, die du da oder dort hättest anbringen können, aber das verfliegt sehr schnell, denn ändern kannst du ja jetzt sowieso nichts mehr. Anders der Übersetzer. Der nimmt seine Arbeit oft mit nach Hause, und sei es auch nur gedanklich, wälzt sich schlaflos im Bett oder schreckt mitten in der Nacht hoch, weil ihm das Gehirn, das seine eigenen bizarren Arbeitsrhythmus hat, nach längerer vergeblicher Suche unvermutet das mot juste präsentiert.“
„Verstehe. Warum lassen Sie dann nicht die Finger von Übersetzungen?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht, weil die Kuh jetzt Zeit hat, aufs Eis zu gehen. Und weil ich die englische Sprache liebe. Aber es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Der Wechsel von einer Sprache zur anderen bleibt nicht auf die rein linguistische Ebene beschränkt. In seiner Sprache spiegelt sich die kollektive Erinnerung eines Volkes. Insofern wechselt man das Koordinatensystem, die Matrix. Anspielungen, zeithistorische Kürzel und Ähnliches, die im Deutschen funktionieren, weil uns die eigene Vergangenheit und Gegenwart, das literarische und kulturelle Erbe mehr oder minder präsent sind, funktionieren im Englischen nicht und müssen durch Begriffe oder ganze Passagen ersetzt werden, die auf den englischen oder amerikanischen Kulturkreis rekurrieren.“
„Klar, das leuchtet ein.“
Er nicke mir zu.
„Freut mich. Solche Änderungen haben ‚spin-offs‘, also literarisch produktive Nebenwirkungen, die den Autor-Übersetzer auf Pfade und Gässchen abseits der Hauptstraße führen können. Und da es sich um meine eigenen Werke handelt, kann ich es mir erlauben, mich mal kurz ins Unterholz zu schlagen. Was dazu führt, dass die deutsche und die englische Fassung ein und desselben Buches im Detail sehr verschieden ausfallen können. Nicht in dem Sinne, dass ein Schurke, der in der deutschen Fassung stirbt, in der englischen knapp überleben und eine zweite Chance erhalten würde, das nicht. Aber sagen wir so: wer sich die Mühe macht, beide Fassungen zu lesen, wird sich auch bei der zweiten vermutlich keineswegs langweilen.“
„Beispiel?“
„Nun, nehmen wir die Frau in Flammen. Irgendwo in Kapitel drei oder vier taucht der Begriff Caucasian auf. Den muss ich Engländern oder Amerikanern natürlich nicht erklären. Deutschen hingegen schon: was hat das bitte mit dem Kaukasus zu tun? Das kann mich dann dazu verleiten, hemmungslos abzuschweifen - wozu, unter uns, bei mir sowieso nicht viel gehört – und auf den Kaukasus einzugehen, bei den gebürtigen Georgiern Dschugaschwili und Schewardnaze vorbeizuschauen und die Zubereitungsweise des in heißer Asche gesottenen georgischen Kaffees eingehend zu schildern. In der englischen Version wird der enttäuschte Leser nach alldem vergeblich suchen. Und vielleicht auch gar nicht vermissen, davon abgesehen. Manchmal kommt es aber auch zu einer wechselseitigen Befruchtung dergestalt, dass die beiden Fassungen einander regelrecht aufschaukeln wie eine alte Flautensee und die den Windumschwung ankündigende neue Dünung.“
„Das heißt aber doch letzten Endes, dass ein jeder, der beider Sprachen hinreichend mächtig ist, eigentlich auch beide Fassungen erwerben und lesen sollte, um das Gesamtbild zu haben…?“
Er lachte schallend.
„Das wäre auch für den Verlag sicher der anzustrebende Idealzustand, ja.“
„Vielen Dank für das nicht uninteressante Interview.“
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