Die Galionsfigur
oder Blicke vom Balkon.
Bei der Suche nach Ursprung und Bedeutung eines x-beliebigen Begriffs geht man normalerweise vom Konkreten zum Abstrakten. Im Falle der Galionsfiguren empfiehlt sich mal der umgekehrte Weg.
„Galionsfiguren“ im übertragenen und weithin geläufigen Sinne sind bekannte Persönlichkeiten, die zum Teil Großes für ihre Organisation, Partei oder Unternehmen geleistet haben, sich gegenwärtig aber auf den Status des Frühstücksdirektors reduziert sehen: ein Edmund Stoiber etwa oder ein demnächst zu verrentender Uli Hoeneß. Dass mir an dieser Stelle nur bayrische Beispiele einfallen, muss nichts bedeuten.
Exlibris, ein kleiner Merkzettel in einem Buch, um dessen Eigentümer zu kennzeichnen. Hier treibt Paul Werner den Gedanken "auf die Spitze", nämlich an die Spitze der vordersten Schiffsfront. Was der Schriftsteller uns damit zu sagen hat? Warten wir es ab...
„Galionsfiguren“ im übertragenen und weithin geläufigen Sinne sind bekannte Persönlichkeiten, die zum Teil Großes für ihre Organisation, Partei oder Unternehmen geleistet haben, sich gegenwärtig aber auf den Status des Frühstücksdirektors reduziert sehen: ein Edmund Stoiber etwa oder ein demnächst zu verrentender Uli Hoeneß. Dass mir an dieser Stelle nur bayrische Beispiele einfallen, muss nichts bedeuten.
Damit hätten wir bereits mir nichts, dir nichts, ein erstes wesentliches Charakteristikum der Galionsfigur im eigentlichen, nautischen Sinne erarbeitet - ihre scheinbare Funktionslosigkeit. Denn wäre sie wirklich zu etwas gut gewesen, hätte sie sich auf allen Segelschiffen durchgesetzt.
Hat sie aber nicht. Wie schon ihr Name andeutet, gehörten diese in der Regel aus Holz geschnitzten und unter dem Bugspriet angeflanschten Voll- oder Halbstatuen zu den sogenannten Galeonen, also Kriegsschiffen.
Warum, liegt eigentlich auf der Hand. Im Gegensatz zu Handelsschiffen, die oft von privaten, auf Heller und Pfennig achtenden Reedern unterhalten wurden, die ihr Geld nicht für solche Kinkerlitzchen ausgeben mochten, gehören Kriegsschiffe dem Staat beziehungsweise der Krone und die konnte es sich erlauben, mit Gold-Doublonen aus dem Staatssäckel um sich zu werfen, ohne von irgendeinem lachhaften Bund der Steuerzahler zur Ordnung gerufen zu werden.
Ihren Ursprung fanden die Galionsfiguren sehr wahrscheinlich in den heidnischen Stevenfratzen der Wikingerschiffe vom Oseberg- oder Gokstad-Typus. Deren Vordersteven waren hochgezogen, nach vorn gebogen und von hässlichen Chimären geziert, alles in einem Stück.
Diese Fratzen hatten noch eine apotropäische, sprich, Unheil wie auch den jeweiligen Feind abschreckende Funktion, während die im 16. Jahrhundert aufkommenden Galionsfiguren im christlichen Geist der bigotten Spanier und Portugiesen als „weichere“ Variante eher Fürbitte leisten und die Elemente besänftigen, oder einfach nur den Sinn für maritime Ästhetik Genüge tun sollten. Für die notwendige Abschreckung des Feindes sorgte nun die imposante Bewaffnung solcher Schiffe.
Rein Schiffbautechnisch handelte es sich bei den Galeonen um zumeist dreimastige Rahsegler, deren hohe Fock- und Großmasten Groß-, Mars- und gelegentlich auch Bramsegel trugen,während der wesentlich kleinere Besanmast lediglich mit einem dreieckigen Lateinersegel bestückt war.
Dies, weil solche schratsegellose Rahsegler im Prinzip auf raumschots, also achtern von dwars einfallende Winde angewiesen waren. Beim Versuch einer Wende hätte der Wind von vorn auf die Segel gedrückt, eine Belastung, für die die Statik eines Segelschiffes nicht ausgelegt ist: Mastbrüche wären die unausweichliche Folge gewesen. Eine Halse hingegen war nicht nur möglich, sondern wurde von jenem achteren Lateinersegel erleichtert, das dem Schiff half, seinen „Hintern“ durch den Wind zu bekommen. Hält man sich vor Augen, dass dies seine einzige Funktion war und Vortrieb irgendwelcher Art von diesem Segel nicht erwartet werden durfte, hielt sich der „Lateiner“ erstaunlich lange auf Großseglern, wurde erst im Laufe des 18. Jahrhunderts vom Gaffelsegel abgelöst, das auch heute noch am Besanmast einer Bark wie der Gorch Fock oder der Passat zu finden ist.
Ein weiteres schiffbautechnisches Charakteristikum der Galeone war ihr balkonartiger Vorbau unterhalb des Bugspriets, also außerhalb des eigentlichen Schiffsrumpfes. Von dieser Plattform aus wurden die sogenannten Blindsegel bedient, ein oder zwei kleinere Rahsegel, deren Name sich vermutlich von dem Umstand herleitet, dass sie jedenfalls von der Brücke des Schiffes aus kaum zu sehen waren.
Dieser bei entsprechend rasanter Geschwindigkeit und rauem Seegang immer wieder tief eintauchende „Balkon“ (galeona) wurde zum angestammten Ambiente der Galionsfigur.
Und siehe da,
mit ein wenig Fantasie könnte man ihr dann doch noch so etwas wie eine Funktion zuerkennen. Das dauernde Eintauchen des Bugs in die mit Macht anströmende See sorgt natürlich für eine erhebliche Dauerbelastung für die Halterung des Bugspriets, der meist ja sogar noch um den Klüverbaum verlängert wurde, um Platz für die Blindsegel-Rah zu schaffen.
Wenn die Galionsfigur auch nur einen Bruchteil dieses Aufpralls abfing, hätte dem Bugspriet dies bereits zur wertvollen Erleichterung gereicht.
Hergestellt wurden die Galionsfiguren, mit denen sich natürlich allerlei Aberglaube verband, vermutlich von denselben Handwerkern, die auch die kirchlichen Heiligenfiguren herzustellen pflegten.
Vorn an den Kriegsschiffen prangten natürlich nicht mahnende Landratten wie Paulus oder Johannes der Täufer, sondern „repräsentative“ Tiere wie Löwen oder Greifvögel sowie Personen, die zum Namen des Schiffes passen konnten, aber nicht mussten. Eine imaginäre „Kronprinz Karl Friedrich“ zum Beispiel konnte durchaus eine hübsche junge Dame als Galionsfigur haben, da war man nicht so pingelig.
Die Galionsfigur für Arme übrigens hieß Krull, was im Skandinavischen so viel wie „Locke“ bedeutet. Dementsprechend handelte es sich um eine lockenartige Verzierung am Bug, die gewisse Ähnlichkeiten mit einer Geigenschnecke aufwies und insgesamt natürlich weit weniger aufwändig in der Herstellung war als eine vollwertige Galionsfigur.
Thomas Mann-Liebhaber werden hiermit sogleich die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull assoziieren. Die Wahl dieses Namens mag Zufall sein. Ein Krull, der vorgibt, eine Galionsfigur zu sein, würde jedoch als Metapher ausgezeichnet in den Kontext passen. Und dass die alte Lübecker Galionsfigur Mann mit der nautischen Terminologie hinreichend vertraut war, darf man wohl getrost annehmen.