Die Laura-Förster Abenteuerserie:
Gespräche mit Betty - Das Making of - oder: Wie kam es zu dieser Serie?


Buch 1: Im blutigen Reigen der Yellow Dancer
Buch 2: Yilan - oder die erschossene Madonna
Buch 3: Die Ballade von den Yarmouth Sechs
Buch 4: Die letzte Reise der Yankee Seas

Buch 5: Yorricks Coup

Hallo. Wir hatten noch keine Gelegenheit, uns miteinander bekannt zu machen. Ich bin Betty Marlow, die neue Assistentin des Autors Paul Werner. Bin gewissermaßen siegreich aus einem Casting hervorgegangen, in dem neben mir noch zwei andere Damen im Rennen waren. Die eine offenbar zu groß und dünn, die andere zu blond. Der Chef wirkt ganz sympathisch, wenn auch ziemlich zerstreut. Die Bezahlung könnte besser sein. Egal, man muss es nehmen, wie’s kommt.   

Als erste Aufgabe hat mich Paul Werner gebeten, eine Einführung in seine Laura-Förster Romane zu verfassen. Danke dafür. Etwas kleiner wäre mir auch ganz lieb gewesen. Am besten, ich gebe aus dem Gedächtnis das Gespräch wieder, das wir neulich Abend beim Essen über diesen Teil seines Werkes geführt haben. „Was mich am meisten interessiert,“ sagte ich ihm, „ist Ihr Motiv für die Wahl einer Protagonistin. Was hat sie dazu veranlasst?“ Er lächelte.

„Das werde ich oft gefragt. Welche Antwort wollen Sie, die kurze oder die lange?“

„Die kurze…?“

„Ich weiß es selbst nicht genau.“

„Gut, dann vielleicht doch die etwas längere…?" - Er überlegte, kein gutes Zeichen, so viel habe ich schon gelernt.

„Also, persönliche Gründe mal beiseite lassend. Es waren dramaturgische Notwendigkeiten zu respektieren. Die ursprünglich auf drei Bände berechnete, inzwischen aber vierteilige Trilogie aus fünf Bänden…“

„Sorry, jetzt bringen Sie mich total durcheinander….“ - Er lachte.

„Kleiner Scherz. Zitat aus der „Galaxie per Anhalter“. Seltsames Buch, übrigens, ähnlich wie die Bibel: Alle kennen den Titel, wenige haben es gelesen und keiner erinnert sich an den Namen des Autors. Ist mir übrigens auch gerade wieder entfallen. Wo waren wir…?“

„Bei den…dramaturgischen Dingsbums…“

„Richtig. Keimzelle der Romanreihe war eine Kurzgeschichte, eine Art Fingerübung, die ich vor vielen Jahren mal absolvierte. Dabei stellte ich fest: Dramaturgie verlangt nach Kontrast und Streit. Harmonie füllt keine Seiten. Je schriller die Konflikte, desto besser. Mir ging es darum, einen Stellvertreter mit der verqueren, verkifften und verschwitzten Welt der Karibik zu konfrontieren, sie so zu schildern, wie ich sie selbst erlebt hatte. Da kam mir die Idee, eine Frau zur Protagonistin zu machen. Nicht irgendeine Frau, sondern eine hanseatisch-bürgerlich erzogene, propere, etwas steife und altkluge Dame mittleren Alters. Jemand, auf den die Karibik wirken musste wie das Wunderland auf die kleine Alice. Über eine im Nachlass auftauchende Yacht, von der sie nichts wusste, erfährt die Gute, dass ihr unlängst verstorbener Mann im dampfenden karibischen Regenwald ein Doppelleben führte. Aus seiner Beziehung mit einer Einheimischen auf Guadéloupe ging zudem ein Söhnchen hervor, während er seiner Hamburger Ehefrau stets vorgegaukelt hatte, dass er Kinder verabscheue. Ich meine, mehr Kontrast und du stirbst, wie der Franzose sagt.“

„Ja. Ich meine, nein.“

„Eben. Aus der Ehefrau wurde im Yellow Dancer eine Tochter, die in der Karibik erfährt, dass ihr bisheriges Leben auf Sand gebaut ist.“

„Krass. Dafür findet sie….“ - Aber das sollte ich an dieser Stelle besser nicht vorwegnehmen, sonst liest ja keiner mehr das Buch. - „Wie gelingt es Ihnen, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt einer Frau zu versetzen?“. Er lachte erneut.

„Sie kennen sicher die Antwort Jack Nicholsons in Besser geht’s nicht: ich stelle mir einen Mann vor, nehme Vernunft, Gradlinigkeit und Verlässlichkeit weg und schon habe ich eine Frau. Gut, das ist jetzt ein wenig sarkastisch und gemein. Was kann ich zu meiner Entlastung sagen? Ich war mein Leben lang immer gern mit Frauen zusammen, wusste mit Männern nichts anzufangen, habe drei erwachsene Töchter und bilde mir ein, etwas von der, zugegeben komplexen Materie, zu verstehen.“

Er trank einen Schluck Wein und zwinkerte mir zu.

„Im Grunde ist Laura ein ähnliches alter ego für mich, wie Solitaire für Laura.“

„Soll heißen?“

„Soll heißen: falls ich das Pech haben sollte, im nächsten Leben als Frau wiedergeboren zu werden, wäre ich gerne jemand wie Laura. Oder noch besser eine Mischung aus Laura und Solitaire.“

„Gibt es für die beiden konkrete Vorbilder?“

„Nein. Was nicht heißen soll, dass ich sie am Reißbrett entworfen hätte. Sie verkörpern beide Züge, die ich einzeln in anderen Frauen angetroffen habe, sind also Komposita, wenn man so will. Bei der Erschaffung von Solitaire…mein Gott, das klingt jetzt wie bei Bruce Almighty…Na ja, egal. Also bei Solitaire geisterte mir der Song der Carpenters durch den Kopf: Solitaire’s the only game in town. Womit wir beim Motiv der Einsamkeit wären, das sich als roter Faden durch mein ganzes Werk zieht. Manche Menschen fühlen sich ihr Leben lang einsam, obwohl sie verheiratet sind, Freunde und Familie haben. Viele sind es ja auch tatsächlich. Im Grunde seines Herzens lebt und stirbt jeder von uns für sich allein. Auch das verkörpern die beiden auf ihre Weise.“

„Man hat das Gefühl, Laura wird immer härter, während Solitaire fraulichere, weichere Züge annimmt.“

„Das ist so gewollt, ja. Die beiden nähern sich charakterlich einander an - und entfernen sich wieder. Wie zwei Kometen im Weltall, deren Bahnen sich einmal pro Ewigkeit kreuzen. Nichts im Leben oder im All ist auf Dauer angelegt, alles im Fluss, wussten schon die Griechen.“

„Dauerhaft ist nur die Dichotomie zwischen Gut und Böse?“

„Ja und nein. Die Bösen sind bei mir schlecht, durchaus, aber nie wirklich cattivo, wie die Italiener sagen, also charakterlich hässlich und verdorben bis auf die Knochen. Und wirklich gut ist nicht einmal die ziemlich launische und manchmal intrigante Laura.“

„Jetzt, wo Sie es sagen. Wie im Italo-Western. Überhaupt haben Ihre Romane viel von Filmen, scheint mir…“

„Sehr gut beobachtet, Betty, alles, was recht ist. Stimmt, ich habe meist nur eine ganz grobe Idee vom Plot, plane wenig, sondern lasse den Dingen ihren Lauf. Die Handlung entfaltet sich vor meinen Augen quasi von selbst, getrieben von den sich zunehmend verselbständigenden Charakteren, wie in Filmsequenzen, deren Wendungen sogar mich gelegentlich überraschen.

„Bis auf die historischen Passagen…?“

„Sie meinen, die Rückblenden? Ja, zusammen mit den Figuren verleihen sie dem Plot sein Gerüst, sein Skelett.“

„Wie viel davon ist jeweils authentisch und wie viel fiktiv?“

„Darin, liebe Betty, liegt des Pudels Kern. Ich folge streng der vorgegebenen historischen Schiene und lulle den Leser durch das rhythmische Rattern der Räder ein, damit er nicht merkt, wann, in welchem Augenblick ich abrupt die Weiche stelle und auf die fiktive Spur überwechsele. Das bereitet mir jedes Mal diebisches Vergnügen. Denn die Fiktion muss ja mindestens so glaubhaft wirken, wie die verbürgte Realität. Das ist nicht ganz einfach, glauben Sie mir.“

„Unbesehen. Alle Ihre Romanhandlungen spielen überwiegend auf irgendwelchen Archipelen…“

„So ist es. Räume im weitesten Sinne haben für mich eine überragende Bedeutung. Und Inseln sind auch insofern einzigartig und faszinierend, als sie, wie Homers Sirenen von Ferne, dem Seemann Wunderdinge versprechen, die sie, aus der Nähe betrachtet, selten einzulösen wissen. Das hat etwas Archetypisches. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden mit versehentlich bereits voll ausgebildetem Bewusstsein aus dem Mutterleib schlüpfen und sich nach einem ersten Rundblick sagen: Hey, sieht ja alles gar nicht mal so beschissen aus, wie befürchtet. Ja, aber dann kommt der ganze Rest: Schule, Uni, Beruf, Heirat, Schulden, Ehebrüche, Krankheiten, die ganze Litanei.“

Er nahm einen weiteren Schluck und winkte ab.

„Aber ich will nicht Trübsal blasen. Räume sind wichtig, finde ich. So wichtig, dass sie bei mir sogar zu den heimlichen Protagonisten werden können. Yılan zum Beispiel ist gewissermaßen um die Ruine des alten griechischen Waisenhauses auf Büyük Ada herum geschrieben. Eine Hommage an Bücher wie Gottes Werk und Teufels Beitrag von John Irving, verfilmt mit dem herrlichen Michael Caine in der Hauptrolle. Kein Schauspieler, den ich kenne, hat einen so ausgeprägten Sinn für den natürlichen Rhythmus der Sprache, seiner Sprache, wie Michael Caine, einzigartig. Und so bescheiden, der Mann. Jemand, mit dem man gerne mal zusammen auf der Bühne gespielt, den man gerne zum Freund gehabt hätte. Aber ich komme ins Schwärmen.“

„Höre ich da einen leisen Ton des Bedauerns durch? Wollten Sie vielleicht selbst mal Schauspieler werden?“

„Schuldig im Sinne der Anklage. In der Tat. Ich hatte als Student in Bonn regelmäßig Theater gespielt. Nach dem Staatsexamen legte ich am Stadttheater eine Schauspiel-Eignungsprüfung ab, die ich mit der berühmten Rede Mark Anthonys aus Shakespeares Julius Caesar auch bestand. Konnte immer schon leicht selbst sehr lange Texte lernen. Hatte mich sogar bereits an der renommierten Essener Volkwang-Schule angemeldet, aber damals stellte das Leben die Weichen anders. Heute bin ich eigentlich ganz froh darüber. Von seiner Kunst leben zu wollen, ist ein großes Privileg, aber meist auch ein ziemlich hartes Brot. Schauen Sie sich mal in LA um, ein einziger Friedhof der Film-Talente.“

„Dazu ist es ja nicht gekommen. Unter dem Strich lieben Sie also das Schreiben?“

„Ja und nein. Günther Grass antwortete mal auf eine ähnliche Frage, Bücherschreiben sei die Hölle. Da ist was dran, jedenfalls, wenn Sie einen gewissen literarischen Anspruch an sich haben, nie ganz mit sich zufrieden sind und dann und wann mitten in der Nacht in Schweiß gebadet aufwachen, weil Ihr verräterisches Gedächtnis Sie unaufgefordert, quasi aus dem Nichts, an einen Textfehler erinnert, den es aus Gott weiß welchen Gründen bis nach der Drucklegung des Buches zurückgehalten hat, so dass er vorläufig nicht mehr zu korrigieren ist. Aber ganz ohne zu schreiben, könnte ich jetzt auch nicht mehr leben. Was soll’s. Irgendwann nimmt uns allen Freund Hein die Feder aus den starren Fingern.“

Sprach’s und verschwand Richtung Flughafen. Recherchen für das nächste Buch irgendwo in Schottland, glaube ich. Wie gesagt, kein leichter Job, aber passt schon, wie der Österreicher sagt.

                 

         

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