Wie sie so dalag, auf dem Rücken, halb verkohlt und in der für Brandleichen charakteristischen Boxerstellung, hätte man Alice für eine Außerirdische halten können, die, aus den Tiefen des Alls zu uns gekommen, beim Eintritt in unsere Erdatmosphäre um ein Haar völlig verglüht wäre.
Frau in Flammen (engl. Version Female on Fire) ist das jüngste Werk vom Schriftsteller Paul Werner. Hier widmet sich der Autor einem norwegischen „cold case“ aus dem Jahre 1970, der unter dem Kürzel Isdal bzw. Eistalfrau auch in Deutschland Furore machte und noch immer durch das Internet geistert. Um was geht es? Paul Werner erzählt:
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Im sogenannten Eistal stossen Wanderer in einer unwirtlich-hügeligen Waldgegend nahe der norwegischen Hafenstadt Bergen, auf die halb verbrannte Leiche einer offensichtlich gewaltsam zu Tode gekommenen Frau. Dies Ereignis fand am 29.11.1970 statt. Erste Ermittlungen der Norweger führen zu einer raschen Identifizierung, die sich aber schneller als eine Luftspiegelung in der Wüste verflüchtigt.
Grund: die etwa vierzigjährige „Alice“, wie ich sie in meinem Buch nenne, war bis zu ihrem Tod unter einem Dutzend verschiedener Namen in unbekannter Mission durch halb Europa gereist. Ihre wahre Identität ist bis heute bestenfalls Geheimdiensten bekannt. Vermisst hat sie keiner.
Wer war diese Eistalfrau? Was hatte sie ausgerechnet in Norwegen zu suchen? War sie vor jemandem auf der Flucht? Vor allem aber: wie kam sie um, durch einen Unfall, Suizid oder Fremdeinwirkung?
Im Rahmen meiner eigenen Fallstudie nehme ich die Leserschaft bei der Hand, führe sie durch das Labyrinth der zahlreichen scheinbaren Paradoxa dieses Falles und beantworte diese gestellten Fragen anhand bereits vorhandener, zum Teil falsch gedeuteter ebenso wie mit Hilfe neuer, bisher übersehenen Indizien und verbinde die einzelnen Stränge zu einem, wie ich meine, sehr einleuchtenden Geflecht.
Was mich als kriminalistischen Laien daran bewegt und dazu befähigt? Eine berechtigte Frage.
Für mich sind die turbulenten Sechziger, auf deren Hintergrund sich die Ereignisse um Alice zugetragen haben, nicht irgendeine zeitgeschichtliche Legende, sondern eine ausgesprochene Schlüsseldekade, in der die wichtigen Weichenstellungen meines Lebens erfolgten. Viel fehlte nicht und ich hätte mich damals RAF-Größen wie Baader, Meinhof, Ensslin oder den Prolls, die größtenteils zu meiner Generation gehören, als Mitläufer angedient.
1976 ließ ich mich in Belgien nieder und wurde eine Art privilegierter Quasi-Mitbürger in dem skurrilen Land, das Alice als ihre Heimat bezeichnete.
Dessen ungeachtet, hörte ich im Verlauf meiner mehr als dreißig Berufsjahre in einem multinationalen, polyglotten Umfeld nie auf, mich als Ur-Deutscher zu verstehen. Ihre bizarre Liebe zur mangelhaft beherrschten deutschen Sprache deutet darauf, dass es Alice, die einer These zufolge in der Nürnberger Gegend das Licht der Welt erblickt haben könnte, ähnlich erging.
Zweitens gilt mir Skandinavien, vor allem Dänemark und Schweden, seit vielen Jahrzehnten als zweite oder dritte Heimat. Nach Norwegen kam ich erstmals 1975, also zu einer Zeit, da seinen Einwohnern noch nicht der beißende Geruch von Erdöl anhaftete und Armut und Provinzialität längst noch nicht endgültig überwunden waren.
Als ehemaliger Dolmetscher verfüge ich drittens nicht nur über die für diesen Fall wesentlichen Sprachkenntnisse, sondern habe im Rahmen meiner Tätigkeit schnell gelernt, mich nicht von politischem oder amtlichem Wortgeklingel beeindrucken zu lassen, sondern nüchtern-distanziert das Sein hinter dem Schein zu suchen.
Viertens spielen die „kriminalistischen“ Plots meiner Laura-Förster Romane zwar an exotischen Schauplätzen, aber nicht im luftleeren Raum und gehorchen insofern stets den unerbittlichen Gesetzen von Authentizität und Plausibilität, auf die meine Leser zu Recht Anspruch erheben.
Und schließlich gestehe ich freimütig, dass mir diese mit allen Wassern gewaschene, aber auch unendlich einsame und bei allem zur Schau getragenen Selbstbewusstsein stets verängstigte Frau ganz einfach sehr ans Herz gewachsen ist.